Das dürfte das Ansinnen der Politik gewesen sein, und wenn ich der älteren Dame im Supermarkt, die ich flüchtig aus der ferneren Nachbarschaft kenne, Glauben schenken darf, dann ist dies auch gelungen.
Schließlich, so verriet sie mir, sei es doch ganz wunderbar, dass ich 9.000€ einfach so bekommen und nun überdies auch noch mehr Zeit hätte…
Ich war sprachlos und bin es bis auf ein „Entschuldigung, aber leider haben Sie das nicht wirklich verstanden…“ auch geblieben.
So kommt es also an, wenn man nicht Unternehmer, nicht selbstständig ist. Aber richtig, unser Unternehmen hat diese Soforthilfe bekommen. Aber was hat man sich dabei gedacht?
Ich fange mal ganz woanders an und erinnere mich an das Jahr 2003. Damals haben wir einen Kunden betreut, der einen von den Kultusministerien der Länder unterstützten, traditionellen Schulwettbewerb finanziell im Rahmen eines Hauptsponsoring massiv unterstützt hat.
Zu allen offiziellen Anlässen war es überdies an mir, den Hauptsponsor zu vertreten. Und sehr offensichtlich habe ich aus dieser Zeit noch heute ein Erlebnis – oder soll ich es Trauma nennen? – sehr präsent, wie mir im Supermarkt bewusst wurde.
In einer der 16 Landesvertretungen in Berlin fand seinerzeit ein Zusammentreffen statt, zudem neben Vertretern aller Kultusministerien auch die Vertreter der Sponsoren eingeladen waren.
Ich stellte mich im illustren Kreis am großen Tisch vor, um mir dann sogleich ein wenig Luft ob der Erfahrungen der zurückliegenden Monate zu verschaffen: „Ich erwarte ja ganz sicher nicht, mit Standing Ovations hier empfangen zu werden, aber es wäre immerhin angemessener, als dass ich mich permanent für alles und jedes zu rechtfertigen habe. Ich vertrete den Hauptsponsor, ohne den wir diese absolut großartigen Veranstaltungen für unsere Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland gar nicht mehr durchführen könnten. Und ohne den wir hier und heute auch nicht zusammensitzen würden. Ich muss Ihnen nicht erzählen, welche finanziellen Mittel dieser Hauptsponsor in das Projekt steckt. Aber anscheinend muss ich Ihnen noch einmal erläutern, dass dies eine Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit ist. Verbunden mit zugesagten Leistungen für das finanzielle Engagement. Und zu keiner Zeit habe ich etwas eingefordert, was nicht vereinbart ist. Dennoch muss ich für jede einzelne Umsetzung kämpfen und mich bzw. meinen Kunden für das jeweilige Ansinnen rechtfertigen.“
So. Das hatte gewirkt und ich würde lügen, hätte es nicht auch ein bisschen Mut erfordert, das in einer solchen Runde mit altgedienten Politikern und Amtsträgern (Politikerinnen oder Amtsträgerinnen gab es übrigens keine in dieser Runde) offen zu formulieren.
Es begann mit Beschwichtigungen und dass dies natürlich alles nie so gemeint sei und endete mit einer bemerkenswerten Begegnung im Verlauf des Abends beim Bankett:
dort nämlich gesellte sich der Vertreter eines Kultusinisteriums mit folgenden Worten zu mir: „Herr Mersch. Im Grunde haben Sie absolut recht mit dem, was sie monieren. Aber wir sind das schlichtweg nicht gewohnt.“
´Wir sind das nicht gewohnt´ musste ich erst einmal sacken lassen.
Was meinte er? Dass jemand auch äußert, wenn er etwas nicht in Ordnung findet? Das konnte es nicht sein. Schließlich bewegte ich mich ja in durch aus politischem Kontext. Also meine Gegenfrage:
„Wie darf ich das verstehen? Was sind Sie nicht gewohnt?“
Und an der Stelle beginnt mein Trauma. Nämlich seine Antwort: „Wissen Sie, Herr Mersch, wir sind Politiker, Staatsbedienstete. Wenn wir für etwas Geld benötigen, dann stellen wir einen Antrag. Und wenn dieser bewilligt ist, haben wir das beantragte Geld. Und dann ist auch gut. Für uns ist das hier so, als hätten wir bei Ihnen (also meinem Kunden) einen Antrag gestellt, den Sie bewilligt haben und das Geld ist geflossen. Aber wir sind es nicht gewohnt, dass wir jetzt noch etwas dafür leisten müssen und Sie das auch noch permanent einfordern…“
Wie weit weg vom realen Leben, dachte ich.
Nun sind wir 17 Jahre weiter und man könnte sich denken, dass alle viel weiter sind. Näher am Leben.
Aber nein. Da haut man Soforthilfen in durchaus beeindruckendem Umfang raus, hinterfragt aber nicht – Zeitdruck hin oder her – welchen Unternehmen dies nachhaltig helfen würde und für welche es tatsächlich wie ein Geschenk daherkommen mag.
Weil man allenfalls nach Umsatz fragt, aber keineswegs nach Erträgen. Warum orientiert man sich nicht an im abgelaufenen Jahr gezahlten Steuern, um eine Vorstellung vom Bedarf und vom Ausfall zu bekommen? Warum ist ein Unternehmen mit einem Angestellten und womöglich ohne Büro gleichgestellt mit einem Unternehmen, das fünf Angestellte beschäftigt? Nur ein kleines Steinchen von Fragen im großen Mosaik.
Ich will mich an dieser Stelle auch auf keinen Fall zu jemandem aufspielen, der mal eben bessere Lösungen zu präsentieren hätte. Im Gegenteil habe ich großen Respekt vor all denen, die gerade in dieser komplett untrainierten Zeit solch weitreichenden Entscheidungen treffen müssen.
Aber sehr wohl frage ich mich: wo ist der kommunikative Austausch mit wirklich betroffenen Menschen? Wo ist die Kommunikation im Nachgang – gerade, wenn man so schnell entscheiden musste – mit denen, die auch andere Meinungen einbringen. Das gilt aus meiner Sicht auch für die Maßnahmen zur Eindämmung des Covid-19-Virus. Warum sitzen nicht auch Experten mit unterschiedlichen Ansätzen konstruktiv an einem Tisch und beraten?
Gerade, wenn man sich einer nie dagewesenen Situation gegenübersieht?
Wer sitzt am Tisch und macht nicht den Mund auf, wenn das Land NRW an dem Tag, wo der Lockdown verlängert wird, Unternehmen zunehmend in Existenzangst geraten, verkündet, dass man Gelder zum Wieder-Aufbau für Notre-Dame bereitstellen wird? Was für ein Zeichen. An was für einem Tag… Aber das passiert auch in der Wirtschaft. Einen schönen Gruß von adidas. Irgendwer muss am Tisch gesessen haben und gedacht, aber geschwiegen haben!
Ich kenne Menschen, für die es tatsächlich ein Segen ist, 9.000€ Sofort-Hilfe erhalten zu haben.
Ich kenne Unternehmen, bei denen ist von einem Tag auf den anderen jegliche Arbeits- und Einnahmengrundlage verschwunden. Was helfen da 9.000€?
Ich kenne Solo-Selbstständige, Künstlerinnen und Künstler, die haben gar keine Einnahmen mehr. Und die wurden erst nicht berücksichtigt und als man das geändert hat, waren die Töpfe leer.
Und dann passiert was? Nichts! Warum auch? Die Mehrheit hat doch schon gejubelt.